Finanzzyklus am Ende und die Erde vorm Kollaps
Der Wirtschaftsweise mit der Glaskugel – Oder: haben wir alles bewusst ignoriert?
Von Elke Schoolmann
Müll türmt sich auf bis an die Fenster. Menschen mit einem angsteinflößenden Gesichtsausdruck schauen auf die wabernde Masse aus Plastik und sonstigem Unrat, der immer weiter emporkriecht und sie zu untergraben droht. Aufwühlende, schrille Musik untermalt das Desaster. Plötzlich Stopp, ein Schriftzug auf der Leinwand, dass die Müllberge im Jahr 2020 die Menschheit zu überwältigen drohen. Zugleich folgt die Lösung: „Baut größere Häuser“. Kurz ein lautes Gelächter im Kinosaal Anfang der 90er Jahre, sicher auch ein Moment des Innehaltens und sich Bewusstwerdens über das eigentlich auch damals schon offensichtliche Problem. Doch dann beginnt der Film, Besucher sinken in die karminroten Samtsofas und bei Popcorn, Chipsletten und einer Zigarette wird der unangenehme Moment zuvor rasch verdrängt. Die Welt war zumindest im kleineren Ort in Deutschland noch recht übersichtlich, das Auto spielte eine große Rolle und in der Disco waren somit Autoschlüssel und Zigarettenschachtel die Statussymbole der damaligen Zeit, in Schlüsselanhänger und Feuerzeug zeigten sich die Individualität.
Der Guru entlarvt das System
Unser geopolitisch äußerst versierter Wirtschaftslehrer, eine Art Wirtschaftsweiser oder neusprech Guru, hatte schon damals die halbe Welt bereist und war global investiert. Der Kapitalismus wurde zu der Zeit weitestgehend gefeiert, obgleich damals schon bekannt war, dass unser Geldsystem in sich bereits endlich ist. Denn beim Schuldgeldsystem als Teil des sogenannten Fiatmoney, ein quasi aus dem Nichts geschaffenes Geld ohne eigenen inneren Wert, überleben am Ende immer die Reichen. Noch nie in der Geschichte hat ein ungedecktes Papiergeldsystem überlebt. Nur damals beruhigte man sich damit, dass es halt noch ein wenig dauert, bis der „Point of no return“, der unumkehrbare Moment, erreicht ist. Dass, wenn der scheinbar überschritten ist, eine Ära mit Negativzinsen und ein Modellversuch unbekannten Ausgang folgen, hätte sich der weise Mann wohl nicht in seinen kühnsten Träumen vorzustellen vermocht. Von negativer Realverzinsung, sprich gewährter Zins abzüglich Inflationsrate, einmal abgesehen. Denn die gab es schon öfter.
Die Anfänge des Unheils
Für die Facharbeit widmeten wir uns ausgiebig den sogenannten Konvergenzkriterien nach dem Vertrag von Maastricht, nach denen ein EU-Mitgliedsstaat an der gemeinsamen Währung teilnehmen kann. Unter anderem war dort festgelegt, dass der Schuldenstand eines EU-Mitglieds 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht übersteigen darf und das gesamtstaatliche Defizit maximal drei Prozent dessen erreichen darf. Letzteres soll hierbei die Funktion der viel zitierten staatlichen Schuldenbremse sichern. Bereits damals schwante unserem Experten, dass es allzu verführerisch sei, diese Regeln langsam etwas breiter auszulegen. „Um die Vorzüge der Absatzpolitik zu nutzen, könnten wirtschaftlich stärkere Länder Interesse am Beitritt von in dieser Hinsicht schwächeren Staaten haben“, resümierte er, ohne zu verschweigen, dass es einige Länder mit ihren Bilanzen vielleicht nicht ganz so genau nehmen würden. Ohne irgendjemandem zu nahe treten zu wollen, selbstverständlich. „Dieses Konstrukt kann nur funktionieren, wenn diese Kriterien genauestens eingehalten werden“, fasste er damals zusammen. Und ergänzte, sollte schwächere Staaten der einmal gewährte Zugang überfordern und diese ihre eigene Währung nicht mehr abwerten könnten, würde es unter anderem für Deutschland sehr gefährlich werden, formulierte er rückblickend betrachtet die Anfänge des Unheils.
Die Kraft des magischen Sechsecks
Zugleich schenkte er beim Magischen Sechseck einem Zielkonflikt besondere Bedeutung. Wirtschaftswachstum und Schutz der natürlichen Umwelt. Er führte aus, dass die Wachstumssprünge der bisherigen Zeit den Faktor Umwelt- und Naturschutz völlig unberücksichtigt gelassen. Die Kosten seien auf unbestimmte Zeit in die Zukunft verschoben und auf die Allgemeinheit ausgelagert worden. Eine trügerische Rechnung, die einen irgendwann einholen würde. Obwohl schon jedes Kind instinktiv weiß, dass unendliches Wirtschaftswachstum, basierend auf endlichen Ressourcen, unrealistisch ist und Leben an sich ein Kreislauf ist. Wachstum durch geistige Wertschöpfung und damit einhergehenden Produktivitätsfortschritt mal ausgenommen. Er schwor uns darauf ein, dass diese Kosten irgendwann in der Zukunft mal auf den Verursacher zurückfallen werden. Wenn sowohl die Länder und Menschen, auf die sie bisher abgewälzt wurden, und die Umwelt an sich, so ausgebeutet und geschändet seien, dass es sich nicht mehr verhindern ließe, dass die Folgen insgesamt spürbar seien. Die Umwelt sich mit vermehrten Naturkatastrophen wieder in Balance zu bringen versucht und Flüchtlingsströme aus dann unbewohnbar gewordenen Gebieten nicht abzureißen drohten. Und an diesem Punkt, wo die wahren Kosten der Produktion und den Folgen des Konsums auf den Tisch kämen und in die Rechnung einflössen, würden sämtliche Zahlen neu gemischt und Gewinne könnten sich ins Umgekehrte wandeln. Zu der Zeit wurde gerade verbleites Benzin von der Tankstelle verbannt und Motoren bekamen Katalysatoren, allerdings war Fliegen zu der Text noch wahrer Luxus und die Klassenreise nach Spanien fand mit dem Bus statt, so furchtbar die 24 Stunden auch waren, wir kannten ja nichts anderes. Und immerhin weiter als Berlin.
Die Nullerjahre bringen den Turbokapitalismus
Wir wussten es schon alles, bevor mit Anfang der Nullerjahre dank immer weiter fortschreitender Globalisierung der Turbokapitalismus mit Fast Fashion, den neu aufkommenden Mobiltelefonen, allerhand weiterer, kurzlebiger Technikartikel und nicht zuletzt den Billigflügen aufkam. Dass diese Wirtschaft nicht mehr auf echten Bedarf ausgerichtet ist, sondern aggressiv und gezielt immer größere Bedürfnisse zu wecken versucht. Und dass die Wertschätzung der Güter bei dem lächerlichen Verramschen leider leicht abhandenkommen kann.
Eine Krise nach der anderen
Nun war das ganze Finanzsystem insbesondere nach Bankenkrise 2008/2009 und daraus resultierender Weltwirtschaftskrise sowie Eurokrise ab 2012 schon äußerst strapaziert, wohlwollend formuliert. 2019 im September kam es zu Verwerfungen am sogenannten Repo-Markt, wo Finanzmarktakteure sich durch Kredite mit Cash versorgen können oder eben welches gegen Sicherheit verleihen können. Banken drohte plötzlich das Geld auszugehen, als ein bestimmter Zinssatz in die Höhe schoss. Die amerikanische Zentralbank half, indem sie das tat, was Zentralbanken nahezu überall auf der Welt seit Jahren immer hemmungsloser tun: Sie schuf neues Geld. Und legte nochmal in großem Stil nach, bis sich die Lage wieder beruhigt hatte. Die sprichwörtliche Druckerpresse läuft und läuft, damit unser bisheriges System weitergehen kann.
Das neuartige Coronavirus betritt die Bühne
Als das neuartige Corona-Virus SARS-CoV-2 sich über die Welt verbreitete, traf es also schon auf ein mehr als krankes Finanzsystem. Zusätzlich sind die schon geschilderten, prognostizierten Folgen des Raubbaus an der Natur in noch keiner Weise gelöst, obgleich der Produktion von Elektroautos und Forschung bezüglich alternativer Antriebe. Plastik wird in Zeiten der Pandemie entgegen vorheriger Entwicklung wieder wichtiger. Zudem muss sich die EU der Herausforderung Migrationsbewegungen stellen.
Finale
Die Kinos haben in Zeiten der Corona-Pandemie geschlossen. Heute weiß wohl mittlerweile jeder um die Missstände auf der Welt und sieht die Folgen der Umweltzerstörung. Wäre allein das seit Beginn des Corona-Ausbruchs neu geschaffene Geld tatsächlich gedruckt worden, würde es die damals gezeigten Müllberge wohl bereits überragen. Ablenkung und ein Verschieben funktioniert nun auch nicht mehr richtig und wer braucht schon einen Kinofilm, wenn das reale Leben heute einem Blockbuster gleicht.
Dennoch war der weitblickende Fachlehrer immer zuversichtlich, denn an Schwierigkeiten können Menschen wachsen, neue Lösungen erarbeiten und sich weiterentwickeln. In jeder Krise könne eine Chance liegen. Und diese bergen auch die komplexen Generationenaufgaben Umwelt- und Naturschutz sowie die wahrscheinliche Umwälzung des Finanzsystems.